In den letzten Jahren ist die Erzeugung von ökologischem Qualitätsweizen vielerorts schwieriger geworden. In Folge des Klimawandels nehmen Wetterextreme wie starke Trockenheit oder Starkregenereignisse zu. Heterogene Weizenpopulationen haben aufgrund ihrer Vielfalt das Potential, schwierige Bedingungen auszugleichen und im Nachbau auf sich verändernde Bedingungen flexibel zu reagieren. Ihre Leistungen sind dabei vergleichbar mit denen aktueller Qualitätssorten. Heterogene Weizenpopulationen sind eine vielversprechende Ergänzung zu den üblichen Liniensorten.
Vielfältige Weizentypen in einem Bestand
Heterogene Weizenpopulationen sind vielfältige Pflanzenbestände, die sich über die Jahre an den Standort anpassen
können. Bezeichnet werden sie manchmal auch als Composite Cross Populationen (CCP), oder als Moderne Landrassen. Sie stammen aus der
Durchkreuzung einer Reihe moderner Liniensorten oder aktueller Zuchtstämme. Die Nachkommen aus diesen Kreuzungen werden gemischt und
über mehrere Jahre vermehrt. Auf bewusste Selektion wird weitgehend verzichtet. Ziel ist es, eine große Zahl von genetisch
verschiedenen Pflanzentypen zu erhalten, die sich in ihren Ansprüchen an Witterung und Klima, in vorhandenen Resistenzen sowie in
ihrem Wuchs und Aussehen unterscheiden.
Die Stärke liegt im Unterschied
Genau diese Unterschiedlichkeit macht eine heterogene Population aus. Die einzelnen Pflanzen sollen sich gegenseitig
ergänzen und in ihrer Gesamtheit gut zusammenspielen. Aus den zahlreichen individuellen Unterschieden ergibt sich insgesamt eine hohe
Widerstandsfähigkeit. Heterogene Populationen sind immer in Entwicklung, sie verändern sich mit ihrer Umwelt. Über die Jahre
verschwinden schwächere Einzelpflanzen, es entstehen aber auch neue Kreuzungen, denn in Weizen kommt es bei mindestens 2 Prozent der
Pflanzen zu Fremdbefruchtung. Je nach Standort, an dem die Population nachgebaut wird, entwickelt sich eine spezifische an die dort
gegebenen Bedingungen angepasste Population.
Die neue EU-Öko Verordnung schafft Rechtssicherheit für heterogene
Populationen
Das Sortenrecht sieht für heterogene Populationen keine Möglichkeit der Zulassung vor. Das hat die Verbreitung von heterogenen
Populationen bisher stark gehemmt. Doch mit der am 01. Januar 2022 in Kraft getretenen neuen EU-Öko-Verordnung besteht nun erstmals
dauerhaft ein rechtlicher Rahmen für Saatguterzeugung, Anbau und Vermarktung von „heterogenem ökologischen Material“
und damit auch für Populationen. Das ist ein großer Schritt für die Förderung der Vielfalt auf dem Acker! Zudem hat die
Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag die Förderung von Populationssorten vereinbart um klimarobuste Pflanzen zu
unterstützen.
In einem Versuch am LTZ in Kooperation mit Agroscope (CH) wurde untersucht wie stabil die Leistungen von heterogenen Populationen sind und wie sich die Leistungen insgesamt im Vergleich zu aktuellen Eliteweizen im Ökolandbau zeigen. Geprüft wurden:
- sechs heterogene Qualitätsweizen-Populationen gegenüber acht aktuellen Winterweizensorten der Qualitätsgruppe E
- über drei Jahre
- an fünf (2018) bzw. sechs (2019 und 2020) Standorten in Baden-Württemberg
Unter den heterogenen Populationen waren die beiden Populationen Brandex und Liocharls von der Forschung & Züchtung Dottenfelderhof sowie die OpenSource Population EQuality der Universität Kassel. Unter den Liniensorten waren die beiden Verrechnungssorten der bundesweiten Wertprüfungen Aristaro (Forschung & Züchtung Dottenfelderhof) und Trebelir (Cultivari Darzau).
Die Ergebnisse zeigen, dass die Populationen gegenüber den Sorten tendenziell stabiler bei den Kornerträgen und besonders deutlich bei den wichtigen Qualitätsparametern (Protein-, Feuchtklebergehalt und Sedimentationswert) sind. Die Umweltvarianz ist ein Wert für Stabilität. Je weniger eine Sorte in ihren Leistungen über die Jahre und an verschiedenen Standorten schwankt, desto niedriger ist der Wert der Umweltvarianz (Evi). So war die Umweltvarianz (Evi) in den Populationen beim Proteingehalt um 28 Prozent, beim Feuchtklebergehalt um 22 Prozent und beim Sedimentationswert um 26 Prozent niedriger als in den Sorten.
Umweltvarianz der Qualitätsparameter der Sorten (links, grün) und heterogenen Populationen (rechts, blau). Eine niedrigere Varianz bedeutet eine höhere Stabilität. (3-jährige Ergebnisse von 5 (2018) und 6 (2019 und 2020) Standorten)
Das durch die große genetische Vielfalt hohe Potential der heterogenen Populationen bedeutet, dass immer einige Pflanzentypen unter den aktuellen Bedingungen der Saison nur mäßige Leistungen erbringen, da sie zum Beispiel mehr Wärme oder mehr Feuchtigkeit zu einer bestimmten Zeit bevorzugen. Jedoch sind diese Pflanzentypen die unbedingt erwünschte und notwendige Rückfallversicherung für das Auftreten von Umweltveränderungen oder Extrembedingungen. Sie bilden das Fundament für stabile Leistungen.
Folgerichtig erreichte im aktuellen Versuch keine der heterogenen Populationen höchste Leistungen wie manche Sorte. Die Populationen lagen in Bezug auf den Ertrag alle im Versuchsmittel (Kornertrag Populationen: 50.4 dt/ha, Kornertrag Sorten: 50.2 dt/ha). Die Protein- und Feuchtklebergehalte waren bei den Populationen nur geringfügig niedriger als bei den Sorten (Protein: 11.5 Prozent vs. 11.6 Prozent und Feuchtkleber: 24.8 Prozent vs. 25.4 Prozent, Sedimentationswert: 35.7 Prozent vs. 38.5 Prozent).
Zwei der Populationen (Brandex und Liocharls) erbrachten sowohl sehr gute Erträge und Qualitäten und rangierten gleichzeitig hinsichtlich der Stabilität aller Qualitätsparameter auf den ersten beiden Plätzen des gesamten Sortiments.
Kornertrag und Feuchtklebergehalt der der Sorten (links) und heterogenen Populationen (rechts). (3 jährige Ergebnisse von 5 (2018) und 6 (2019 und 2020) Standorten)
Als es im Versuch am Standort Hohenheim im Jahr 2018 zu einem starken Auftreten von Braunrost kam, waren die Populationen im Großen und Ganzen nicht weniger befallen als der Durchschnitt der Sorten. Allerdings gab es in den Populationen immer wieder einzelne Pflanzen, die vollständig gesund waren und andere einzelne Pflanzen, die sehr stark von Braunrost befallen waren. Durch Krankheitsbefall stark geschwächte Pflanzen liefern einen geringeren Ertrag. Im Nachbau liefern sie somit weniger Saatgut für das nächste Anbaujahr. In der weiteren Entwicklung einer heterogenen Population an einem Standort wird der Anteil dieser anfälligen Pflanzen somit immer geringer. Sie werden durch andere, mit passenderen Resistenzen ausgestattete Pflanzen ersetzt.
Bei samenbürtigen Krankheiten wie dem Steinbrand und dem Zwergsteinbrand kann eine Population nicht auf die beschriebene Weise reagieren. Schlimmer noch, wenn man eine heterogene Population nachbaut, wird sich der einmal aufgetretene Steinbrandbefall durch die Sporen im Ernte- und später im Saatgut potenzieren. Die einzige Möglichkeit besteht nur in konsequenter Beizung mit Tillecur und nach Möglichkeit darin, bereits steinbrandresistente Populationen anzubauen, wie die beiden Populationen Brandex und Liocharls. Im Versuch am LTZ wurde bisher nur an einer der Populationen, der experimentellen CCP-WS starker Steinbrandbefall festgestellt. Diese Population empfiehlt sich nicht für den Anbau.
Trotz nachweislich guter Anbau- und Backeigenschaften haben heterogene Weizenpopulationen bisher noch keinen Eingang in den Nahrungsmittelsektor gefunden. Im Rahmen des Projekts "BAKWERT: Bewertung und Akzeptanz heterogener Weizenpopulationen in ökologischen Wertschöpfungsketten" werden ökologische Wertschöpfungsketten bestehend aus landwirtschaftlichen Betrieben, Mühlen und Bäckereien in drei Regionen etabliert. Zwei heterogene Winterweizenpopulationen sowie eine Referenzsorte finden in den drei Clustern Anwendung, um die für Akzeptanz und Verbreitung heterogener Weizenpopulationen relevanten Faktoren entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu identifizieren und zu bewerten. Ziel ist es mit Hilfe eines ganzheitlichen Ansatzes den Anbau, die Verarbeitung und Vermarktung von Populationsgetreide zu fördern. Als Grundlage zur Erforschung der Wertschöpfungsketten dienen qualitative Interviews mit den verschiedenen Akteuren, Workshops und Feldtage, partizipative Methoden, sowie Feld- und Bestandsbonituren. Zur umfangreichen Evaluierung der Qualitäts- und Backeigenschaften werden unabhängige Analysen vom Institut für Getreideverarbeitung GmbH durchgeführt. Auf Basis dieser Daten sollen in einem multi-actor Prozess Optimierungspotenziale entlang der Wertschöpfungsstufen (Anbau, Mahl- und Backprozesse) erarbeitet werden. Die Kommunikation der Endergebnisse erfolgt durch ein 'Populationshandbuch', sowie durch einen aus partizipativ entstandenen Videos produzierten 'Populationsfilm'. Des Weiteren werden sämtliche (Zwischen-) Ergebnisse und weiterführende Informationen auf der Projektwebseite verfügbar sein. Die Gesamtkoordination obliegt dem Fachgebiet Betriebswirtschaft der Universität Kassel. Partner sind das Fachgebiet Ökologischer Pflanzenschutz der Universität Kassel, das LTZ am Kompetenzzentrum Ökologischer Landbau Baden-Württemberg (KÖLBW) sowie als Auftragnehmer der Verein Die Freien Bäcker e.V.
Laufzeit: Beginn: 15.05.2020 / Ende: 15.07.2023
Förderprogramm: Bundesprogramm ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN); Förderkennzeichen: 2819OE033
Quelle: BLE